Mein Freund Flips

  • Mein Freund Fips



    Onkel Hannes war Kleinbauer. Boshafte Leute nannten ihn abwertend einen Kuhbauern, weil er als einziger Bauer im Dorf kein Pferd besaß und alle Arbeiten auf den Feldern und dem Hof mit Kühen verrichtete. Dafür hatte er eine Menge Bienen. Die hatten die anderen Bauern nicht.


    Ich jedenfalls freute mich immer, wenn ich mit meiner Mutteer für ein paar Wochen zu Onkel Hannes und Tante Hedwig fahren durfte. Einmal konnte ich dort von dem zur Zeit der Rapsblüte verführerisch hellgrünen Honig essen, so viel ich wollte, und dann war da auch Fips, der Hofhund, ein grauer Wolfsspitz. Auf den freute ich mich noch mehr als auf den Honig.


    Nach Onkel Hannes war er der Chef auf dem Hof. Wehe den Gänsen, wenn sie in die junge Saat liefen, um sich dort satt zu fressen! Oder den Kühen, wenn sie versuchten, aus ihrer Weide auszubrechen! Sofort war Fips zur Stelle und sorgte für Ordnung. Dazu brauchte man ihn nicht erst aufzufordern, es sei denn, er hielt gerade seinen Mittagsschlaf. Er wusste genau, was verboten war und was nicht, und notfalls griff er sofort ein. Vor allem aber war er mein Freund.


    Unsere Freundschaft hatte damit begonnen, dass er mir bei den Mahlzeiten half, das zu vertilgen, was ich alles hätte essen sollen, beim besten Willen aber nicht schaffte. Anfangs setzte er sich immer neben mich und bellte mich an, wenn wieder ein Bissen fällig war. Als die Tante diesem Treiben ein Ende machte und Fips aus dem Raum schickte, schlich er sich zu den Essenszeiten nur noch klammheimlich ins Zimmer und lag dann mucksmäuschenstill unter der Kinderbank. Ich wartete dann immer einen günstigen Augenblick ab, um Fips unbemerkt einen Happen zustecken zu können. Und es herrschte zwischen uns ein solches Einvernehmen, dass keiner den anderen verriet.


    Aber es war nicht nur Fips, der aus unserer Freundschaft handfesten Nutzen zog. Im Gegenzug gewährte er mir großherzig Unterschlupf und Schutz, wenn ich mich vor dem Zorn der Erwachsenen oder der älteren Cousinen in seine Hütte retten musste. Anlässe gab es genug. So zum Beispiel, als ich der Tante wieder einmal helfen wollte und die Schweine versehentlich mit Kuchenteig statt mit Brennereirückständen fütterte, weil ich die Eimer verwechselt hatte.


    Wenn ich mich also in seine Hütte verkrochen hatte, verwandelte sich Fips meinen Verfolgern gegenüber in eine bedrohlich knurrende, Zähne fletschende Bestie. Und nur über seine Leiche hätte man mich dort herausholen können.


    Ich hatte aber nicht nur Freunde unter den Tieren des Hofes. Mein ärgster Feind war der große Gänserich, der Ganter. Warum er mich nicht mochte, weiß ich nicht. Ich hatte ihm nie etwas getan. Dem sehr selbstbewussten Hahn gegenüber hatte ich mich mit meinen vier Jahren gerade noch durchsetzen können, aber dem riesigen Ganter war ich hilflos ausgeliefert. Wenn er zischend, mit weit vorgestrecktem Hals und wild mit den Flügeln schlagend auf mich losging, blieb mir nur noch eine schnelle Flucht.


    Das gelang mir auch immer, bis zu jenem Tag, an dem ich dabei stolperte und der Länge nach hinfiel. Im Nu war der Ganter über mir, hieb mit dem Schnabel auf mich ein, schlug mich mit seinen mächtigen Flügeln und trat auf mir herum.


    Ich brüllte verzweifelt, ohne dass mich jemand hörte. Alle waren auf dem Felde, auch Fips. Trotzdem rief ich nach ihm, so laut ich konnte. Und plötzlich war er da. Ganz benommen spürte ich, wie der Ganter von mir abließ und sah vor mir nur noch eine Wolke aus weißen Federn und Daunen, hörte den Ganter entsetzlich schreien und Fips wütend knurren und bellen. Schließlich blieb mir nichts anders übrig, als dem Ganter zu Hilfe zu kommen. Fips hätte ihn sonst vielleicht umgebracht.


    Aber wie die beiden trennen? In meiner Not mahm ich die Peitsche vom Haken an der Wand. Deren Bedeutung kannte jeder. Ich knallte damit, so gut ich konnte. Und siehe da: Fips ließ den Ganter los und der floh, so schnell es nur ging, seinem Stall zu. Er sah erbarmungswürdig aus in seiner Nacktheit. Als die anderen Familienmitglieder ihn so sahen, musste ich ausführlich berichten. Von da an ließ man mich nie mehr allein auf dem Hof zurück, auch nicht für kurze Zeit.


    Wenn ich nun aber angenommen hatte, der Ganter würde mir künftig nicht mehr so feindselig begegnen, so sah ich mich hierin bitter enttäuscht. Er stellte mir weiterhin nach. Aber ich brauchte jetzt nicht mehr vor ihm zu fliehen. Es genügte, nach Fips zu rufen, auch wenn der weit weg auf einem der Äcker war. Der Ganter ließ mich dann sofort in Ruhe, schüttelte verlegen das langsam nachwachsende Gefieder und trat, sichtlich um Haltung bemüht, leise schnatternd einen geordneten Rückzug an.


    Fips und ich haben noch viele Abenteuer miteinander bestanden ,lustige und manchmal auch gefährliche. Ich habe ich ihm auch all meine kindlichen Sorgen und Nöte anvertraut.Der Gedanke, dass er mich nicht verstehen könnte, ist mir nie gekommen. Und wenn ich Kummer hatte, habe ich mein Gesicht in seinem weichen Fell vergraben. Fips hat das nicht nur geduldet, sondern zeigte ganz deutlich seine Anteilnahme.


    Natürlich durfte es niemand sehen, wenn er mir das Gesicht leckte und von mir dafür einen dicken Kuss auf die Nase bekam. Wir hätten sonst noch mehr Ärger bekommen. Immer wieder wurde mir erklärt, dass ein Hund Würmer, Flöhe und Krankheiten übertragen könne. Ja, andere Hunde vielleicht. Aber doch nicht Fips, mein engster Vertrauter und Verbündeter, den ich so lieb hatte.


    Manchmal frage ich mich, ob meine Beziehung zu Tieren ohne die Freundschaft zu Fips heute wohl die gleiche wäre. Je älter ich werde, desto bewundernswerter finde ich die Art und Weise, in der sich der erfahrene und lebenstüchtige Hund Fips damals meiner angenommen und wie bedingungslos er den in seinen Augen sicher sehr schutzbedürftigen kleinen Menschen verteidigt hat. Dafür bin ihm heute noch dankbar. Er war der beste Freund meiner frühen Kindheit, und seinen Platz in meinem Herzen hat er nie verloren.


    Autor: Theo Schulz

  • Zitat

    Original von Großspitzfan
    ich will ja nicht immer nur traurige Geschichten hier reinbringen :)


    Diese Geschichte ist wirklich schön!


    Ich frage mich auch, ob ich ohne meine Dackelhündin "Merry", die mich durch meine Kinderjahre begleitete - und ich sie! - so ein Verhältnis zu Tieren bekommen hätte, wie ich es heute habe.


    Neben Merry spielte der Schäferhund unseres Zahnarztes eine Rolle, "Rolf", der einfach rundum nur klasse war, und dann der Schäferhund Cäsar, den ich als jugendliche Gassigeherin im Auftrag des sehr beschäftigten Unternehmer-Herrchens beinahe täglich ausführte - und in dem ich zum ersten Mal einen wehrhaften, nicht immer leichten Hund begegnete.


    Als beim jährlichen Hausball im Hause des Besitzers der "Juniorchef" mit mir einen Foxtrott tanzen wollte, scheiterte dies an Cäsar: der knurrte ihn an. Und wurde dann erst mal "ausgesperrt" - bis ich ihn wieder herein bettelte.


    Abendgesellschaft "im kleinen Schwarzen" bei Kaviar und Champagner mit Schäferhund - auch das etwas, was heute schier unmöglich wäre!


    Zeiten, die ich vermisse!


    Liebe Grüße